(14. Mai 2004)
Wir haben uns hier zusammengefunden, um mal wieder – entsprechend unserem Programm – eine Doppelausstellung zweier eher als Einzeltäter bekannter KünstlerInnen zu eröffnen. Und auch diesmal wieder funktioniert die Ausstellung, trotz der unterschiedlichen Techniken und Sichtweisen, doch durchaus ebenso als gemeinsame Arbeit, in der Barbara Spaett und Heribert Heindl in kraftvoller Bildsprache über das Gegensatzpaar „positiv-negativ“ reflektieren.
Barbara Spaetts große Skulptur „Glücksrad“, über zwei Meter hoch und in der Form einer horizontal gespiegelten Zwiebelturmkuppel, steht nicht nur als massives Objekt im Raum, sondern schneidet auch, als dunkle Fläche gesehen, ein Stück aus dem Hintergrund aus. Der scharfe Umriß des „Glücksrads“, die Schnittstelle von Skulptur und Raum, bildet eine dynamisch geschwungene Linie, die Heribert Heindl in seiner al secco aufgetragenen Wandmalerei aufgreift. Diese Kurve schwingt sich an der Wand von der Decke zum Boden – oder vom Boden bis zur Decke, das kann man so oder so sehen. Die Fläche zwischen der Kurve und den beiden Achsen (Abszisse und Ordinate sozusagen) ist in schmutzigem Violett gefüllt.
Die so entstandene Fläche lehnt sich an den Rahmen einer Tür an und setzt damit wiederum die Form mit dem Galerieraum in Beziehung. An der Stirnwand vermessen zwei diagonal gekreuzte, leuchtend orange, längliche, ja: phallische Formen die Dimensionen dieser Wand und bilden einen scharfen Kontrast zu Spaetts ausgesprochen „weiblich“ geformter Skulptur. In diesem Gegensatz erhält das Glücksrad Verstärkung durch den „Schrumpfkopf“ zwischen den Fenstern. Er ist die Assistenzfigur des Glücksrades, die den phallischen Propeller in Schach hält.
Durch den bewußt malerischen, ungleichmäßigen Farbauftrag, durch das Belassen von Spuren der letzten Ausstellung, durch das Zulassen des Verlaufens der Farbe verweisen Heindls Wandmalereien darüberhinaus auf ihre Gemachtheit und auf ihren Ort. Auch bei Heindls „Raumbeschreibung“ geht es um den Gegensatz von postitiv und negativ. Obwohl es letztlich nur wenige bemalte Flächen sind, formen und akzentuieren diese eben auch in starkem Maße die nichtbemalten Flächen des weißen Raumes, und sogar den Raum als ganzes. Absenz markiert Präsenz und umgekehrt, in nicht endender dialektischer Bewegung.
Insgesamt gelingt es Spaett und Heindl so, mit nur vier Eingriffen den gesamten, großen Raum durchaus zu rocken und auch ein spannungsreiches Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Arbeiten und dem Galerieraum selber zu erschaffen.
Vielleicht ist der Raum aber auch schon ein Opfer von Überfülle. Das kann man nun positiv und negativ betrachten. Mit Sicherheit läßt sich jedoch sagen: der Raum wirkt auf seine Betrachter und Betrachterinnen. Damit ist es möglicherweise, so könnte man folgern, ein moralischer Raum, denn wie Jean-Jaques Rousseau, der bis zum Erscheinen von MC Solaar als der frischeste aller Franzosen galt, schrieb: “ Wenn der machtvolle Einfluß, den unsere sinnlichen Eindrücke auf uns ausüben, nicht moralische Ursachen hat, warum sind wir dann so empfänglich für Eindrücke, die Barbaren überhaupt nichts bedeuten?“
Im Anschluß hieran ließe sich mit einiger Berechtigung fragen, was denn nun die Einflüsse sind, unter deren Einfluß die Betrachter und Betrachterinnen hier stehen. Und welcher Art die Inhalte sind, die Bedeutungen, die die Arbeit, über die ich bisher ja nur in formaler Hinsicht gesprochen habe, vermittelt.
Drei Thesen lassen sich zur Disposition stellen. Danach fallen mir aber noch mehr ein. Das kann man jetzt auch wieder positiv und negativ betrachten, je nachdem, ob einem die Thesen gefallen.
These I: Barbara Spaett will das Glücksrad von Sat1 befreien. In unserem Leben ist kein Platz für Sat1. Frederic Meisner und Maren Gilzer gehören nicht in die Galerie sondern auf eine Galeere. Triremische Ruderordnung. 5 Jahre Minimum. Barbara Spaett befreit das Glücksrad aus den Fängen des teuflischen Senders in der unheiligen Hauptstadt. Das Glücksrad muß wieder von der Glücksgöttin Fortuna gedreht werden. O Fortuna / velut luna / statu variabilis, / semper crescis / aut decrescis. Sat1 ist nicht mehr unseres Glückes Schmied! Das Glücksrad ist nicht powered by emotion.
These II: Skulpturen sehen Dich an! Malereien blasen Dich weg. Das kann nicht lange gut gehen. Museen und Galerien: „absurde Schlachthöfe der Maler und Bildhauer, die sich gegenseitig wild mit Farben und Linien entlang der umkämpften Ausstellungswände abschlachten.“ (F. T. Marinetti, 1909) UNO-Blauhelmeinsätze in die Museen und Pinakotheken. Pinsel zu Pflugscharen.
These III (Themaverfehlung): Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, kehren die Toten auf die Erde zurück. Die Malerei ist wieder da. Erfolgreich bei Museen und Sammlern. Die traditionelle Malerei ist nicht mehr tot. Aber sie riecht komisch. „Post-Post-Expressionismus, oder Post-Post-Neo-Geo-Mix Imi Knöbel. All das ist eigentlich im Moment irrelevant geworden. Warum also da weitermachen? Tausend Ausreden werden dauernd erfunden, um Wände zu schmücken. Von Intensität dagegen ist nichts mehr zu spüren. Ein Gelabere. Einen guten Künstler zeichnet aus: Nicht alt sei er, nicht neu sei er, gut sei er!“ (M. Kippenberger, 1991, Hervorhebung i. O.)
These IV (zurück zum Thema): „Wir erklären:
1 Daß man alle nachgeäfften Formen verachten, alle ursprünglichen Formen aber rühmen muß.
(…)
3 Daß die Kunstkritiken unnütz und schädlich sind.
4 Daß man alle schon benutzten Sujets wegkehren muß, um unser wirbelndes Leben von Stahl, Stolz, Fieber und Schnelligkeit auszudrücken.“ (U. Boccioni, 1910)
Ich erkläre: ein oranger Propeller ist schöner als die Nike von Samothrake.
Aber das kann man natürlich auch so oder so sehen. Je nachdem. Es gibt sicher auch Leute, denen die Nike von Samothrake besser gefällt, oder die Adidas besser finden als Nike.
These V: Malerei auf der Wand ist besser als Malerei auf Leinwand.
„Um der Unterschiede willen scheint es an der Zeit, einige der Besonderheiten zur Sprache zu bringen, die sich die Skulptur verschafft hat. Will man auf die umfassendste Weise damit beginnen, wäre festzustellen, daß sich die Interessen der Skulptur zeitweise nichtnur von denen der Malerei unterschieden, sondern ihnen sogar feindlich gegenüberstanden. Je deutlicher das Wesen der Skulptur wird, um so ausgeprägter erscheint der Gegensatz. Sicherlich hat die beständige Verwirklichung dieses Wesens nichts mit einer dialektischen Entwicklung zu tun, wie sie die Malerei für sich in Anspruch nimmt. Das primäre Problem, mit dem fortschrittliche Malerei sich ein halbes Jahrhundert lang beschäftigte, war ein strukturelles. Es wurde allmählich offenbar, daß das strukturelle Problem im Wesen der buchstäblichen Eigenschaften des Trägers zu lokalisieren ist. Es war ein langer Dialog mit einem Endpunkt. Da Skulptur andererseits nie etwas mit Illusionismus zu tun hatte, konnte sie auch unmöglich fünfzig Jahre lang ihre Bestrebungen auf das ziemlich fromme, wenngleich etwas widersprüchliche Geschäft stützen, den Illusionismus loszuwerden und zum Objekt werden. Abgesehen von der Nachbildung, die nicht mit Illusionismus zu verwechseln ist, wurden die skulpturalen Tatbestände von Raum, Licht und Material stets konkret und buchstäblich eingesetzt.“ (R. Morris, 1966)
Barbara Spaett hat ihre Skulptur bemalt.
Heribert Heindl hat die Wand zur Skulptur gemacht.
These VI: „Man unterscheidet vier Stile der Wandmalerei in Pompeji. Diese Stile sind Systeme von Wanddekorationen. Die Übergänge von einem Stil zum anderen sind fliessend, einer entwickelt sich aus dem anderen. Um diese Übergänge beurteilen zu können, muss man die einzelnen Stile in ihrer ausgebildeten Form kennen lernen.
1. Stil: Mauerwerkstil (200-80 v. Chr.)
2. Stil: Architektur- oder Illusionsstil (80-27 v. Chr.)
3. Stil: Kandelaberstil (20 v. bis 54 n. Chr.)
4. Stil: Phantasiestil (ab 41-79 n. Chr.)“ (Irgendwo im www)
Frage an das kundige Publikum: welchem Stil gehören die hier gezeigten Wandmalereien an?
Statt der angekündigten drei Thesen sind es bis hierher schon sechs. Und ein Ende ist noch nicht abzusehen.
ð These VII: Galerie Royal ist die Galerie des Überflusses.
These VIII: „Spaett und Heindl haben keine Angst vor der Vergangenheit. Sie haben ihre Existenz vergessen.
Sie halten die Zukunft für genauso sentimental wie die Vergangenheit.
Die Zukunft ist fern, gerade wie die Vergangenheit und daher sentimental.
(…)
Sie bestehen auf wasserdichten Unterteilungen.
Es gibt keine Gegenwart – es gibt Vergangenheit und Zukunft und es gibt Kunst.
(…)
Sie erregen sich nicht wegen dem, was sie erfunden haben.
Täten sie das, sähe es wie ein Zufallstreffer aus. Es ist kein Zufallstreffer.
Spaett und Heindl kennen keine Verbote.
Es gibt eine einzige Wahrheit, sie selbst und alles ist erlaubt.
Tempelritter sind sie aber nicht.
Sie sind schön, stolz und raubgierig.“
(P. Wyndham Lewis 1914, leicht abgewandelt)
These IX: „Il n’y a pas dehors texte.“ (J. Derrida)
These X: Einfach so die Wand anmalen, einfach so die Skulptur hinstellen und dann noch eine dazu, das ist Rock’n’Roll.
These XI: „Ich bin für Kunst, die sich windet und grunzt wie ein Ringer. Ich bin für Kunst, die Haare läßt.
(…)
Ich bin für eine Kunst, die alten Frauen über die Straße hilft.
(…)
Ich bin für die Kunst, vom Barhocker zu fallen.“ (C. Oldenburg, 1961)
These XII: Ich bin für Längere Gedankenspiele: „Wenn ein Typ namens Monroe nicht der Vater des Bluegrass geworden wäre, könnte ihn heute niemand als den Großmeister des Speed Metal erkennen. Ich weiß, ich weiß.“ (H. Gelb, 2001)
These XIII: „(…) die Kunst hat keinen Anlaß.“ (J. Beuys, 1984)
These XIV:
1. „Der Künstler/die Künstlerin kann die Arbeit realisieren.
2. Die Arbeit kann von anderen hergestellt werden.
3. Die Arbeit braucht nicht ausgeführt zu werden.
Weil alle genannten Möglichkeiten gleichwertig sind und gleichermaßen der Intention des Künstlers entsprechen, liegt die Entscheidung über den Zustand der Arbeiten nach Annahme beim Empfänger.“ (L. Weiner, 1969)
Der Empfänger kann das dann natürlich wieder positiv oder negativ betrachten, je nachdem…
These XV: „Kunst ist das Wesen alles Wollens, das Perspektiven öffnet und sie besetzt.“ (M. Heidegger, 1950)
Dabei sollte klar sein, „dass sich jetzt das ‚Wesen‘ weder aus dem esse essentiae, noch aus dem esse existentiae, sondern aus dem Ek-statischen des Daseins bestimmt. Als der Ek-sistierende steht der Mensch das Da-sein aus, indem er das Da als die Lichtung des Seins in ‚die Sorge‘ nimmt. Das Da-sein selbst aber ist als das ‚geworfene‘. Es west im Wurf des Seins als des schickend Geschicklichen.“ (M. Heidegger, 1954)
These XVI: „Repariert, was euch kaputt macht!“ (monochrom, 2002)
These XVII: „Wenn das Licht aus ist, ist es weniger gefährlich.
So, hier sind wir, unterhaltet uns! Ich fühle mich dumm und ansteckend. So, hier sind wir, unterhaltet uns! (…)
I’m worse at what I do best
And for this gift I feel blessed
Our little group has always been
And always will until the end
And I forget
Just what it takes
And yet I guess it makes me smile
I found it hard
Its hard to find
Oh well, whatever, nevermind…“ (k. Cobain, 1991)
Aber auch das kann man, ich sage es abschließend noch einmal in aller Deutlichkeit, positiv oder negativ sehen.
Galerie Royal: powered by emotion.
(Peter T. Lenhart 2004)