„In der Volkshochschule habe ich gehört, daß religiöse Darstellungen nicht gut seien.
Ich habe in einem Kunstlexikon gelesen, daß die jungen Galeristen Bilder haben, die als Reproduktionen völlig ausreichend sind.
Wen würde es aufregen, wenn es wahr wäre, daß gemalte Suppendosen zu teuer sind?“
(aus: Adib Fricke, „Das Lächeln des Leonardo da Vinci – Ein Zufallsgenerator“, 1991)
Es ist verschiedentlich festgestellt worden, daß die Kataloge zu Ausstellungen in den letzten Jahrzehnten stetig an Umfang und Bedeutung zugenommen haben (Angeblich überwiegt aufs Ganze gesehen die Menge an Katalogen inzwischen sogar bei weitem die der Ausstellungen).
Von den drucktechnischen und ökonomischen Bedingnissen sowie allgemeineren soziologischen Veränderungen des künstlerischen Feldes sei hier jedoch abgesehen, um statt dessen zu fragen, welche Funktionen die Dokumentation gerade von Kunst-Ausstellungen durch Kataloge hat und welche spezifischen Wahrnehmungsmodi sie hervorbringt.
Der Katalog dient einmal als Beleg, als Zertifikat dafür, daß tatsächlich irgendwann einmal eine Ausstellung stattgefunden hat. Dem Kunstkonsumenten dient die Ansammlung von Katalogen im Bücherschrank zur Dokumentation seiner eigenen Erfahrung, Kenntnis, Reiselust, Kaufkraft, Kunstaffinität, Beflissenheit.
Dem Künstler dient die Bibliographie der Kataloge, die ihn und sein Werk thematisieren, zusammen mit der Liste der Ausstellungen an denen er teilgenommen hat, zur Bestimmung seiner Position und seiner Wertigkeit innerhalb des künstlerischen Feldes; eine Ausstellung mit begleitendem Katalog gewinnt dem Künstler allemal mehr soziales Kapital als eine Ausstellung ohne.
Für den Galeristen mag die Sammlung eigener Kataloge ebenfalls ein Gradmesser für den Wert seiner Galerie und seiner Verbindungen und Beziehungen sein; andererseits hat die quasi Verpflichtung, dem Künstler nicht nur die Ausstellungsinfrastruktur, sondern eben auch noch die dauerhafter wirksame Katalogveröffentlichung zu bieten, auch schon Galerien in die Untiefen der Rentabilität gesteuert.
Dem Betrachter dient der Katalog unter Umständen als Gedächtnisstütze und kann – beim ehemaligen Besucher der tatsächlichen Ausstellung – wohl auch Erinnerungen auslösen, also interne, kognitive Repräsentationen des seinerzeit Gesehenen generieren, aktualisieren oder strukturieren.
Natürlich kann der Katalog auch, wenn er – wie meist – über die reine Dokumentation der tatsächlichen Ausstellung hinausgeht, der Ausstellung wesentliche Sinngehalte erst hinzufügen. Durch den zusätzlichen Abdruck von theoretischen oder sonstigen Texten, die Abbildung von anderen Werken der ausstellenden Künstler oder von Werken aus anderen Bereichen der gegenwärtigen und vergangenen Kunstproduktion kann auch das, was an der Ausstellung selbst nicht selbst-verständlich ist, erhellt werden. Die ausgestellten Werke werden in theoretische Kontexte gestellt und in bestimmten Diskursen verortet, die in den Werken nur implizit verankerten Verweise auf ihr Außerhalb werden benannt und sichtbar gemacht.
Dafür besteht aber auch die Gefahr, daß die Textualisierungs- und Kontextualisierungsstrategien des Katalogs irgendwann die primär abgebildeten Arbeiten überlagern: Im Katalog zur documenta X (1997) etwa dienten die Repräsentationen der in Kassel ausgestellten Werke lediglich noch der Illustration einer theoretischen Abarbeitung des 20. Jahrhunderts.
Letztlich aber gruppiert und hierarchisiert der Katalog nicht nur gelegentlich, sondern immer in einem Eigensinn, er kontextualisiert und textualisiert nach eigenen, den Werken äußerlichen Regeln und zieht gänzlich neue Repräsentationsebenen ein. Aus Bildern, aus Kunstwerken werden Bilder von Bildern, Katalogseiten. Das Tiefe wird flach, das Prozessuale wird stillgestellt, Werke werden zu Seiten, Kunst zu Text und Kontext; auch dann, wenn Bild- und Textteil konventionellerweise getrennt erscheinen.
Überflüssig auch zu sagen, daß die Betrachtung der katalogischen Repräsentation eines Werkes nicht unbedingt viel über die tatsächliche Qualität und Wirkung zu mitzuteilen vermag. Wer etwa die Bilder Magrittes nur aus den zahlreich zugänglichen, prächtigen Bildbänden kennt, ist, wenn er das erste Mal einem Original gegenübersteht, unter Umständen befremdet ob der technischen Grobheit, die sonst von Hochglanz und Vierfarbdruck verschleiert wird.
Letztlich ist der Katalog immer das, was von einer Ausstellung bleibt. Das ist auf jeden Fall etwas anderes als das, was war.
(Text: Peter T. Lenhart)
Die Ausstellung als Selbstreferenz des Kunstsystems
Mit ihrem Ausstellungskonzept „Katalog – eine Welt aus Bildern“ verfolgen die Kuratoren der Galerie Royal verschiedene Strategien, die der Matrix „Ausstellung“ gleichwertig eingeschrieben sind.
Zunächst geht es um eine Reflektion über die Wege und Möglichkeiten des Darstellens, die einerseits in der Verweigerung, tatsächliche Kunstwerke aufzuhängen und statt dessen Reproduktionen zu zeigen sich entfaltet, andererseits in der Heterogenität der abgebildeten Arbeiten, ihrer Massierung (insgesamt 47 Werke von 47 KünstlerInnen) und ihrer beinahe willkürlichen Ordnung (alphabetisch), die ein Depot bzw. einen Atlas anzudeuten scheint, der alle möglichen Arten künstlerischer Aussage enthielte – etwa wie Jorge Luis Borges ‚Bibliothek von Babel‘ (die jede mögliche Buchstabenfolge in Buchform versammelt und also auch alle künftigen Bücher vorwegnimmt).
Zum anderen kann die Ausstellung gelesen werden als eine Art von Vorschau auf eine Vielzahl möglicher späterer Ausstellungen; beziehungsweise, wenn man die Ausstellung konsequent als Ausstellungskatalog liest, als eine rückblickende Dokumentation aus einer möglichen zukünftigen Perspektive – die Galerie wird konstruiert als ‚U-topos‘, als ‚Vor-Schein‘ (Bloch) zukünftigen Geschehens und Glücks im konkreten Hier und Jetzt.
Schließlich aber eignet dem Projekt vor allem ein stark selbstreferentielles Moment, indem – und das gerade zur Eröffnung einer neuen, einer weiteren Galerie – der Kunstmarkt mit seinen Institutionen, Techniken und Regeln selbst thematisiert und ironisiert wird, und zwar innerhalb dieses Systems selbst.
Die Simulation eines Kataloges in Ausstellungsform verschiebt die üblichen Abfolgen, Sinnbeziehungen und Gewichtungen des Ausstellungs- bzw. Galeriesystems, um den Blick gezielt auf dieses System selbst zu lenken, das oft kaum wahrgenommen wird als diejenige Matrix oder Hardware, auf der die Software Kunst bzw. Kunstproduktion überhaupt erst läuft.
Die Ausstellung, bzw. dieser Metatext der Ausstellung, gehört damit einem Diskurs künstlerischen Denkens und künstlerischer Produktion an, den man vielleicht mit Marcel Duchamps Readymades beginnen lassen kann, der aber vor allem in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl von Arbeiten hervorgebracht hat, die das Kunstsystem und seine Praxen zuvörderst zum Thema haben.
Duchamps ‚Fontäne‘ oder später Warhols ‚Brillo-Boxes‘ machten ja bereits sehr deutlich, daß die Eigenschaft ‚Kunstwerk‘ eines Gegenstandes unter Umständen ausschließlich von der Attribuierung durch, bzw. der Akzeptanz oder dem Vorhandensein in bestimmten Umgebungen abhängen kann. Diese priviligierten und privilegierenden Umgebungen sind vor allem Galerie und Museum.
Mit dem Aufkommen der Conceptual Art mehrten sich solche künstlerischen Ansätze, die mit großer analytischer Schärfe Fragen nachgingen, die mit dem Wesen der Kunst, dem ‚Kunst-Sein‘ und seinen Bedingungen, dem Kunst- und Kunstgeschichtsdiskurs und dem Kunstmarkt zu tun hatten. Besonders virulent wurden diese Fragen in und nach dem enormen Boom, den der Kunstmarkt in den achtziger Jahren erlebte und während dessen die (freilich stets mehr oder weniger virulente) Ökonomisierung des gesamten Kunstbetriebs bisweilen so unsubtile Formen annahm, daß sie auch dem weniger aufmerksamen Beobachter ins Auge fallen mußten.
Aus der Unzahl von entsprechenden neueren Arbeiten, die jetzt hier als Eideshelfer herangezogen werden könnten, seien hier nur einige wenige einigermaßen willkürlich als Beispiele angeführt.
Robert Barry etwa ‚zeigte‘ 1972/73 in zahlreichen bedeutenden Galerien in Europa und New York eine Arbeit namens ‚Invitation Piece‘, die daraus bestand, daß er über den Verteiler der jeweiligen Galerie Einladungen in deren Namen und Typographie verschickte, die auf eine Ausstellung Barrys in einer anderen Galerie hinwiesen, wo er wiederum Einladungen verschickte etc.
Barry war es auch, der etwa zur gleichen Zeit Arbeiten von Kuratoren und Galeristen ausstellte.
1987 stellte Lawrence Weiner für aber nicht im Magasin Centre International D’Art Contemporain in Grenoble aus: er verschickte über den Verteiler des Magasin 7.000 Umschläge mit je zwei seiner Schablonen und dem Hinweis, daß die Ausstellung an 7.000 verschiedenen Orten stattfinde.
Rirkrit Tiravanija räumte 1991 die Lager- und Arbeitsräume einer großen Galerie und stellte alles dort gefundene (inklusive der arbeitenden Galeriemitarbeiter) im Ausstellungsraum zur Schau und nutzte dafür die frei gewordenen Räume, um für die Gäste Thai-Curry zu kochen.
Jac Leirner zeigte als Beitrag zur Biennale d’Arte Contemporanea
in Venedig 1997 nichts anderes als die stattliche Sammlung von Visitenkarten, die Galeristen, Kuratoren und Museumsmenschen in aller Welt ihr im Laufe ihrer Karriere als professionelle Künstlerin verehrt hatten und die für den Kundigen sehr genau über ihre Stellung im Kunstsystem Auskunft geben konnten.
Und 1986 machte das ‚Büro Berlin‘ erstmals den Katalog zum Thema einer Ausstellung: anstelle einer üblichen Pressekonferenz zur Katalogveröffentlichung wurde in einer sorgfältig gestalteten Ausstellungssituation genau ein Exemplar des Katalogs gezeigt, inszeniert wie eine seltene Preziose, an der Wand war das Kategoriensystem des Buches dargestellt und zwei ebenfalls ausgestellte Metallkisten enthielten das Material, auf dem der Katalog beruhte.
In dieser, hier nur skizzierten diskursiven Tradition kann die Ausstellung ‚Katalog – eine Welt aus Bildern‘ letztlich gesehen und verstanden werden.
Befremdlich ist allerdings, daß dieser spezifische Meta-Aspekt nur indirekt (eben durch ihre Teilnahme) den beteiligten Künstlern sich verdankt, sondern fast ausschließlich der konzeptuellen und kuratorischen Tätigkeit der Galeristen.
Auch in dieser Hinsicht, um noch eine weitere Ebene einzuziehen, werden hier übliche Funktionsverteilungen und Abläufe unterlaufen und so noch einmal das hergebrachte Galeriensystem dezentriert und in einen schwebenden Zustand der Unsicherheit gebracht.
Ob die neu eröffnete Galerie Royal das Niveau dieser Vorlage auch in ihrem weiteren ‚richtigen‘ Ausstellungsbetrieb wird halten können ist eine so berechtigte wie interessante Frage.