Heike
Andreas Vogel
16.7 – 10.8.2002Heike Döscher (München) / Andreas Vogel (München und Berlin)Mit Ihrer Arbeit wollen die beiden Künstler, wie sie sagen, „dem Hirschen wieder einen Raum schaffen“.
„Wieder“ versteht sich hier angesichts der erstaunlich verlaufenen Konjunkturkurve dieses Motivs. Schon in zahlreichen Mythen und Erzählungen früher Kulturen spielte der Hirsch eine wichtige Rolle, er wurde auf Höhlenwänden und Kultgegenständen verewigt, war Kulturbringer oder Göttertier, zog den Sonnenwagen oder speiste die Quellen. Artemis konnte seine Gestalt annehmen, Psyche auf ihm reiten, die Menschen führt er zu Quellen, Bergwerken und Schätzen.
Der alexandrinische Physiologus wußte zu berichten, daß der Hirsch Schlangen und Drachen zu töten vermag und ließ ihn so später zu einem wichtigen Symbol für Jesus Christus, die Apostel oder die Gläubigen überhaupt werden; dem Heiligen Eustathius (und später Hubert von Lüttich) erschien er gar mit einem Kreuz im Geweih.
Diese vielen Schichten mythischer und metaphysischer Umhüllung sorgten lange dafür, daß das Motiv immer wieder aufgenommen, weiterentwickelt und aktualisiert wurde.
Vom 19. Jahrhundert an aber, als man begann den Hirsch im Wesentlichen lediglich als Hirsch bzw. als Teil des Naturschönen und der Waldidylle zu thematisieren, hat man ihn gründlich entzaubert und als gesunkenes Kulturgut fristete er sein Dasein seitdem vor allem auf jenen massenhaft verbreiteten Chromolithographien im Goldrahmen, die ihn nicht anders als „röhrend“ kennen (vom Jägermeister-Logo mal ganz zu schweigen).
So kann die ernstgemeinte künstlerische Beschäftigung mit Hirschen heute beinahe als Regelverletzung gelten (auch wenn das ungeliebte Tier in der eurasischen Privatmythologie des Joseph Beuys zwischendurch kurz wieder eine seriösere Rolle gespielt hatte).
Heike Döscher und Andreas Vogel geht es also darum, wieder an die vielfältigen semantischen Aufladungen des Hirschmotivs zu erinnern und ihm vielleicht sogar wieder etwas von jenen mythischen und metaphysischen Bedeutungen einzuschreiben.
Ihre raumgreifende Installation öffnet spielerisch – und ohne eine allzu konkrete Richtung vorzugeben – ein kraftvolles Assoziationsfeld.
Die Arbeit will damit auch ausloten, ob und wie weit der vom goldgerahmten Wandbild über dem Sofa wieder heruntergeholte Hirsch aus dem Kopf des Besuchers, bzw. aus dem kollektiven Gedächtnis, noch ein Residualvolumen einstiger Aura an die Oberfläche zu fördern vermag.
Die Ein- und Umbauten der Installation, die dunklen Winkel, der projezierte Super-8 Loop, die umgestrichenen Wände, die al secco unmittelbar auf die Wand aufgebrachten Tierbilder, die Inszenierung eines trostlosen Wartesaals im Nebenraum (sozusagen als Antipode zu Gemütlichkeit und wandbildtauglichem Sofa), die vernagelten und übermalten Fenster und das daraus resultierende Dämmerlicht, schaffen als Gesamtheit eine suggestive, traumsphärische Stimmung, die Assoziationen Raum gibt.
Die zu Grunde liegende, oben skizzierte Thematik wird nicht expressis verbis vermittelt, sondern subtil impliziert, dem Besucher sind alle Freiheiten möglicher Interpretations- und Rezeptionshaltungen gelassen, je nach individuellem Vorwissen und Prägung.
Die Galerie Royal ist stolz, für einen Monat diesen Raum nicht nur zu zeigen, sondern dieser Raum zu werden.
Ein Raum für Hirsche und Menschen.
Von Peter T. Lenhart